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Montag, den 9. Juni 2014

Die Tode, die man rief

Abgelegt unter: Agemein,Kaleidoſcop — Schlagwörter: , , , — Hausherr @ 12:11 Uhr

Mir ist bisher kein Haus, kein Gebäude bekannt, das jünger ist als 80 Jahre, in welchem ich leben wollte. Keines. 0.
Und wenn man sich anderswo darüber wundert, wieso ganze Stadtteile (zu) Geisterstädte(n) (geworden) sind, so wundere ich mich, daß man sich darüber wundert.
Geplante und vollendet betonierte Sterilität in Städten und Gemeinden führe ich ganz wesentlich darauf zurück, daß man deren Beschreibung mit den Begriffen Wohneinheit mal x, Gewerbeeinheit mal y, Baukörper und Element mal z bereits vollendet hat. Gibt man noch deutsche Besonderheiten hinzu, beispielsweise die Genehmigungs- und Schallschutzpflicht für Kindergärten in „Wohnvierteln“ oder die Möglichkeit, quakende Frösche oder jahrhundertelanges Kirchengeläut wegzuklagen, so schlägt jeder alte Stadtfriedhof solche Viertel in Sachen Lebensqualität um Längen.

Versuchen Sie doch mal, sich vorzustellen, was geschähe, wenn jemand in diesen Straßen, deren trostlosen Antlitzes Sie sich über den obigen Link vergewissern können, ein paar Tische und Stühle auf den Bürgersteig stellte, um beispielsweise mit Nachbarn zu speisen, dem Wein zu frönen und genüßlich einige Zigarren zu rauchen. Einmal abgesehen davon, daß einem die Lust darauf umgeben von so reichlich, allein schon architektonischer Trostlosigkeit alsbald vergeht, wenn sie denn je aufkam – was würde geschehen? Wie lange würde es wohl dauern, bis irgendein innerlich oder auch äußerlich Uniformierter einen Genehmigungswisch verlangt? Jeder Meter Haus, Straße, Weg und Platz dort läßt den Stock im Arsch strammstehen und die Korinthen sich in Reih und Glied ausrichten.

Die Spielplätze und Spielstraßen sind leer, ebenso die Begegnungsflächen und Sitzbänke.

Allein schon 2 Begrifflichkeiten in obigem Zitat sollten verdeutlichen, wo es hakt: Begegnungsfläche und Spielplatz. Wenn ich Menschen treffen will, ist eine „Begegnungsfläche“ das letzte, was mir vorschwebt. Sind Sie gerade dem Link gefolgt? Und, was meinen Sie? Wird das die „Begegnungsfläche“ sein, die ein Fünfzehnjähriger für seinen Flirt mit seiner vierzehnjährigen Freundin aufsucht?
Und wenn Kinder nicht nahe dran spielen können, wo es ihnen gerade kommt, ist alle Planung sinnlos.

Vollendet veredelte Spießigkeit. Die deutsche Form der amerikanischen Vorstadt gebiert die deutsche Form himmlischer Familien. Trautes Heim, Glück zu zwein, zu drein… Begegnungsflächen allein.

Und nun denken Sie sich, Sie wären männlich und 11 und hatten Glück, denn Mama hat es trotz Bedenken wegen der Nachbarn erlaubt, und wollten nun mit ihrem Kumpel „bolzen“: Wohin gehen Sie? Hierhin? Wie lange werden Sie bleiben dürfen?

Daß Leben dort am besten gedeiht, wo Planung und Regelung rechtzeitig aussetzen, ist den Hirnen von heutigen Stadtplanern und Architekten ohnehin nur schwer zu vermitteln, die letztlich aber die Meinungshoheit haben. Traurig ist, daß es noch nicht mal versucht wird, wo man es versuchen könnte – in den Bildungsstätten. (Wobei auch dieser Begriff das Problem schon wieder andeutet.) Das aber wäre die Voraussetzung, damit es irgendwann auch bis in die Spießerhirne durchdringt.

Und so lebt nur das, was Planung übrigläßt – Flimmerbilder in „Wohnzimmern“ in „Wohneinheiten“ neben leeren „Begegnungsflächen“ in „Wohnvierteln“. Wen es stört, der sollte versuchen, ein „Wohnviertelgemeinschaftsfernsehprogramm“ zu etablieren, dann verschwinden die Flimmerlichter in den „Wohnzimmern“ vermutlich auch bald. Schöne neue Welt.

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