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Dienstag, den 16. Februar 2010

Wegauen!

Abgelegt unter: Agemein,Zenſur — Hausherr @ 5:57 Uhr

Es gibt wieder eine gute interessante Entscheidung der Oberlandeskammer für Zensur und Realitätsverweigerung, dem Oberlandesgericht Hamburg. Das ist nicht die Kammer von Andreas Buske, falls Sie das gerade dachten, aber schon richtig, der Apfel (Buske) fällt nicht weit vom Stamm (OLG), diesmal also eine Entscheidung vom Stamm.

Da die wörtliche Urteilsbegründung momentan nicht aufzutreiben ist (es gibt beim OLG Hamburg derzeit nur eine inzwischen veraltete Pressemeldung, auch in der dortigen Urteilsdatenbank, in der man angeblich aktuelle gerichtliche Entscheidungen finden könne, befindet sich keine, die jünger als viereinhalb Monate ist), muß ich sekundären Quellen vertrauen, diese findet man unter anderem bei netzpolitik.org und heise online sowie ein wenig erläutert bei Hendrik Wieduwilt.

Um Ihnen die „Logik“ oder besser die Tragweite des Irrsinns dieser Entscheidung näherzubringen, einige Vergleiche mit der Analogwelt, der haptischen, physischen, also mit der, die man anfassen und atmen, riechen, schmecken kann.

Nehmen wir an, Sie fahren als Fahrgast mit einem Bus des ÖPNV an einer Mauer mit einer kinderpornographischen Darstellung vorbei, so machen Sie sich strafbar, wenn Sie diese ansehen. Auch ein sofortiges Verschließen Ihrer Augen schützt Sie nicht vor der Strafbarkeit, da Sie sich auch mit einer nur kurzzeitigen Betrachtung dieser Darstellung diese zu eigen machen, denn nun ist diese Darstellung zumindest in Ihrem Kurzzeitgedächtnis (Cache des Browsers) gespeichert, ob Sie das wollen oder nicht. Für die Strafbarkeit ist nicht unmittelbar entscheidend, ob Sie den Bus extra genommen haben, um diese kinderpornographische Darstellung zu sehen. Folgt man der Gedankenführung dieser Entscheidung, so ist Ihnen auch die Möglichkeit genommen, eine solche Darstellung straffrei zur Anzeige zu bringen, denn, wie gesagt, für die Strafbarkeit genügt ihr Anblick:

„Der Nutzer habe bereits beim Aufrufen die volle Verfügungsgewalt über die Daten, sagte der Vorsitzende Richter, Gerd Harder. […] Harder sprach von einer rechtspraktischen Frage mit großer alltäglicher Bedeutung. Der bisherige Gesetzesparagraf zu Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften (Paragraf 184b Abs 4 StGB) bedürfe einer erweiterten Auslegung. Der für körperliche Gegenstände wie etwa Videokassetten und Zeitschriften dabei entwickelte Besitzbegriff müsse dem Willen des Gesetzgebers auch bei unkörperlichen Gegenständen wie Bilddateien genügen.“

Und wie wollen Sie etwas anzeigen, das Sie nicht gesehen haben? Auf Verdacht hin? Hm? Wie früher beim Blockwart?

Willkommen im Panoptikum! Da werden absehbar die Rufe nach Zensur bestimmt wieder lauter, damit niemand versehentlich in den „Besitz“ von KiPo gelangen kann, obwohl er sie doch gar nicht besessen hat.

Übrigens ist es auch ein anschauliches Beispiel der Beweislastumkehr: In dubio contra reum.
 



Nachtrag 18.02.2010: Die Tragweite des Irrsinns wird inzwischen auch andernorts aufgegriffen, so beispielsweise von Udo Vetter in seinem Blog, der wiederum auf ein Interview mit ihm bei der Schaltzentrale, einem Blog der Süddeutschen Zeitung, verweist.

Und einen hinreißend ironischen Kommentar habe ich bei Herrn Vetter auch noch gefunden:

„(…)Evtl. ergeben sich aber auch ganz neue Jobs für Blinde. Allerdings würden die sich dann strafbar machen, wenn sie es mit einer entsprechenden Skulptur zu tun haben.
Darf ich meiner Tochter nun noch die Windeln wechseln? Oder brauche ich einen Beweis (Scheiße an den Fingern), dass ich weggesehen habe?(…)“

2 Comments »

  1. Kommentar von ww — Mittwoch, den 3. März 2010 @ 17:32 Uhr

    Duden-Grammatik-Faschist (ächzend):
    contra reum, contra reum.
    Da braucht´s einen Akkusativ.
    Ja.

  2. Kommentar von Hausherr — Donnerstag, den 4. März 2010 @ 0:49 Uhr

    Herzlichen Dank! Ich hab ’s korrigiert. Dergestalt entblößt, darf ich vielleicht ein wenig entschuldigend nachreichen, daß mir nie ein Latinum zuteil wurde. Von daher einen Fehler als möglich erachtend, hatte ich Google bemüht, um auf die korrekte Form gestoßen zu werden. Stattdessen hatte ich so zahlreiche Treffer zu mir auch seriös scheinenden Seiten, daß ich annahm, meine Variante sei dann doch die richtige. Nun denn, eine Fehlannahme also.

    Was ich mich nun frage: Provozierte dieser Fehler erst Ihren Kommentar, oder hielt er Sie von weiterem ab? Letzteres fände ich schade.

    Und daß die Unduldsamkeit mit Fehlern Sie sich selbst als „Duden-Grammatik-Faschist“ charakterisieren läßt, scheint mir ein wenig überzogen.

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